Venetien – Berge
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Die Berge Venetiens formen ein Reich aus Stein und Licht, in dem Natur und Mensch ihre gemeinsame Geschichte schreiben. Im Norden der Region erhebt sich eine Welt, die anders atmet. Hier, wo die Dolomiten in scharfen Linien gegen den Himmel stoßen und die Stille der Täler nur vom Ruf eines Adlers oder dem Läuten ferner Glocken durchbrochen wird, offenbart sich die Seele Venetiens von ihrer rauen Seite. Zwischen Belluno und Vicenza, zwischen Cortina d’Ampezzo und Asiago, treffen Gegensätze aufeinander: alpine Strenge und venezianische Eleganz, Einsamkeit und Lebenskunst, Erinnerung und Erneuerung.
Die Dolomiten – steinerne Erzählungen
Die Dolomiten Venetiens sind ein Weltgedächtnis aus Fels. Ihre Formen sind über Jahrmillionen aus marinen Sedimenten entstanden. Heute leuchten sie im Abendlicht in jenem unvergesslichen Rosa, das man „Enrosadira“ nennt. Diese Farbspiele sind nicht nur ein Naturphänomen, sondern auch ein Symbol für die ständige Verwandlung der Region selbst: wandelbar, schön, unruhig und zugleich beständig.
Die Marmolada, mit 3.343 Metern der höchste Gipfel, trägt den letzten großen Gletscher Venetiens. Von ihrem Firn aus überblickt man das Land bis zur Ebene von Treviso. In ihrer Nähe liegen legendäre Massive wie die Civetta, der Monte Pelmo, der Antelao – alle mit Geschichten aus Legenden, Krieg und Alpinismus verwoben. Diese Gipfel sind die steinernen Säulen einer Kultur, die gelernt hat, im Rhythmus der Natur zu leben.
Geschichte im Fels
In den Dolomiten wurde Geschichte nicht nur geschrieben – sie wurde in Stein gehauen. Während des Ersten Weltkriegs verlief hier die Frontlinie zwischen Italien und Österreich-Ungarn. Männer hausten in Höhlen aus Eis, kämpften in Höhen über 2.000 Metern, in Bedingungen, die unvorstellbar waren. Der Monte Lagazuoi, der Col di Lana, der Cristallo – sie sind zu Mahnmalen geworden. Heute führen Wanderwege entlang jener Pfade, wo einst Granaten einschlugen, und Tunnels, die in den Fels getrieben wurden, erzählen von Mut und Leid.
Doch die Geschichte reicht tiefer. Schon im Mittelalter war das Bergland Venetiens eine Grenze – zwischen Fürstentümern, Dialekten, Handelswegen. Holzfäller aus dem Cadore fällten Stämme, die über Flüsse nach Venedig trieben, um die Fundamente der Stadt zu bilden. Schmuggler kannten geheime Pfade, Pilger suchten Einsamkeit, und Einsiedler fanden in den Felsen Orte des Gebets. Die Berge waren nie unbewohnt, sie waren immer bewohnt vom Geist der Arbeit und der Geduld.

Der Antelao in den Belluneser Dolomiten erhebt sich markant über dem Cadore-Tal und bietet weite, eindrucksvolle Ausblicke.
Orte der Stille und der Bewegung
Cortina d’Ampezzo, das „Juwel der Dolomiten“, ist heute Synonym für Eleganz. Doch jenseits des Glanzes der Olympiade von 1956 und des Wintersports liegt eine tiefe Verwurzelung in der Landschaft. Die Häuser tragen Fresken, die von Heiligen und Berglegenden erzählen, und das Holz der Balkone duftet nach Jahrhunderten. Hier lebt die Tradition neben der Moderne – in einer Balance, die nur jene verstehen, die im Rhythmus der Jahreszeiten leben.
Auch kleinere Orte wie Alleghe, Zoldo, Arabba oder San Vito di Cadore bewahren diesen Geist. In Alleghe erinnert der gleichnamige See, der nach einem Bergsturz im 18. Jahrhundert entstand, an die unbändige Kraft der Natur. In Cibiana di Cadore erzählen farbige Murales an den Hauswänden das Leben der Menschen: Holzfäller, Schmiede, Mütter mit Kindern. Kunst, die aus der Gemeinschaft wächst und nicht für Museen gedacht ist.
Natur und Leben
Die Bergwelt Venetiens ist ein Mosaik aus Felsen, Wäldern, Wiesen und Wasser. Lärchen, Zirben und Fichten bilden Wälder, in denen das Licht weich auf den Boden fällt. Murmeltiere pfeifen, und an klaren Tagen kann man von den Gipfeln der Belluneser Dolomiten bis zur Adria blicken.
Der „Parco Nazionale delle Dolomiti Bellunesi“, 1990 gegründet, schützt über 30.000 Hektar einzigartiger Natur. Hier wachsen seltene Pflanzen wie die Dolomiten-Glockenblume, und Adler kreisen über einsamen Kare. Doch der Park ist kein isoliertes Reservat, sondern Teil eines lebendigen Raumes, in dem Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Tourismus miteinander verflochten sind.

Cortina d’Ampezzo, die „Königin der Dolomiten“, besticht durch alpine Eleganz, traumhafte Panoramen und edle Bergkultur.
Arbeit, Wandel und Zukunft
Über Jahrhunderte waren die Berge ein Ort harter Arbeit. Holz, Eisen, Stein – das waren die Ressourcen, die das Überleben sicherten. In der Neuzeit kam der Tourismus, zunächst für wenige, dann für viele. Heute stehen die Berge erneut an einem Wendepunkt. Der Klimawandel lässt Gletscher schmelzen und Schneesaisons verkürzen, neue Formen des Reisens entstehen. Immer mehr Menschen suchen die Stille statt den Skilift, das einfache Leben statt des Luxus.






















